Sa. Nov 2nd, 2024

Ich freue mich, Euch heute wieder einmal einen Gastbeitrag zu präsentieren. Er kommt von Christiane von Hardenberg, Wirtschaftsjournalistin, Mutter von 4 Jungs und und Autorin des manager magazin Bestsellers “Selbst investiert die Frau.” Christiane investiert seit 25 Jahren in Aktien und generiert ihre Investmentideen gerne aus ihrem eigenen Alltagsleben heraus. Ihr findet sie auch auf Instagram oder bei LinkedIn.

15 Monate Coronakrise gehen nicht spurlos an einem vorüber, erst recht nicht, wenn man sich in der Mitte des Lebens befindet und die Midlife-Crisis noch obendrauf kommt. Ein neues Projekt, eine neue Aufgabe muss her. Alle meine Freunde, wirklich ALLE, haben jetzt einen Hund. Mein Mann träumt von einem Segelboot. Der Hund kommt in der Stadt nicht infrage, mit Booten habe ich es nicht so. Ich könnte mein Sportprogramm erweitern, mit einem Fitnessrad für zu Hause.

Natürlich will ich nicht irgendein Fitnessrad, ein Peloton sollte es sein, der Mercedes unter den Hometrainern. Seit einigen Monaten bin ich begeisterte Aktionärin des amerikanischen Fahrradherstellers, der sowohl Live- als auch On-Demand-Kurse anbietet, also eine Art Netflix für Sportler ist. In diesem Frühling lief es jedoch nicht ganz so gut für die Aktie. Auch weil vor Kurzem ein Dreijähriger in den USA auf dem Laufband tödlich verunglückt ist und Peloton die Laufbänder zurückrufen musste (wobei ich mich immer noch frage, wie ein Dreijähriger dieses Band zum Laufen bekommen hat und wo überhaupt die Eltern waren). Der Kursrückgang scheint mir übertrieben, ich halte an Peloton fest. Und wer weiß, vielleicht kommt ein kleiner Stützungskauf meinerseits da gerade zur rechten Zeit.

Fest entschlossen gehe ich in das Peloton-Geschäft am Hackeschen Markt in Berlin-Mitte. Schnell wird der Hype um die Fitnessräder offensichtlich – Michelle Obama hatte eines im Weißen Haus, Beyoncé ist begeistert, um nur einige Namen zu nennen: Peloton ist kein schnöder Radhersteller, sondern eine Mischung aus Apple, Netflix, Spotify und Instagram – also aus alldem, was gerade angesagt ist.

Ehe ich mich versehe, sitze ich auf dem von mir so begehrten Fahrrad. Ich trete in die Pedale, das Rad schnurrt nahezu lautlos vor sich hin. Es fühlt sich an, als führe ich nach Jahrzehnten Dieselwagen erstmals ein Elektroauto. Ich kann zwischen Tausenden Kursen wählen, ob live oder aufgezeichnet (on demand, wie Netflix also), kann nach Musikrichtung filtern, nach Trainern, Trainingsziel und vielem mehr. Ich könnte auch noch Yoga und Pilates machen, natürlich nicht alles gleichzeitig auf dem Rad, sondern im Anschluss. Die Auswahl ist geradezu erschlagend. Ich trete einer Liveklasse in New York bei, was mir gleich das Gefühl gibt, kosmopolitisch zu sein, selbst wenn ich den vergangenen Monaten nicht weiter als nach Brandenburg gekommen bin. „Und jetzt geht es bergauf“, sagt der Trainer. Ich stelle den Widerstand höher, mein Kalorienverbrauch schnellt laut elektronischer Anzeige in die Höhe.

In die Höhe ging es auch mit der Peloton-Aktien im vergangenen Jahr. Nach dem Börsengang im September 2019 hatte sich der Kurs zwischenzeitlich verfünffacht, auf mehr als 140 Euro. Wie viele andere Tech-Aktien gehörte auch Peloton zu den Gewinnern der Stay-at-Home-Economy. Als die Fitnessstudios im März 2019 schließen mussten, sattelten immer mehr Menschen auf ein Peloton um. Für einen stolzen Preis: Die günstigste Variante kostet immerhin 2145 Euro, hinzu kommt das monatliche Abo von 39 Euro. Peloton erfuhr ein sagenhaftes Geschäftsjahr.

Mir geht gerade ganz schön die Puste auf dem Rad aus. Das haben die Aktie und ich übrigens gemeinsam. Seit ihrem Höchststand war das Papier zwischenzeitlich um mehr als 40 Prozent gefallen. Wie viele andere Tech-Aktien ist auch Peloton bei den Investoren zuletzt in Ungnade gefallen. Die Gründe unterscheiden sich bei den einzelnen Aktien, doch die große Geschichte ist schnell erzählt: Getrieben von den Corona-Beschränkungen und der lockeren Geldpolitik hatten viele Tech-Aktien luftige Bewertungen erreicht. Mit der Rückkehr zur Normalität rücken nun die Unternehmen in den Fokus, die von einem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung profitieren: Banken, Konsumgüterhersteller, Versorger. Da der Mensch, auch Investorinnen und Investoren, ein Herdentier ist, folgt er dem Trend, verwirft die Gewinner des vergangenen Jahres und kauft zyklische Aktien, also solche, die von einer anspringenden Konjunktur profitieren. Wer schlau ist, läuft jetzt nicht dem Trend hinterher, sondern guckt, ob er unter den „fallen Angels“ eine günstig bewertete Aktie findet.

Apropos Bewertung, ich werde gerade auf meinem Fahrrad bewertet. Mein Trainer schickt mir ein „High Five“ angesichts meiner Performance. Irre. Ob ich will oder nicht, es macht etwas mit mir, so ähnlich wie ein Like auf Instagram – selbst wenn ich eigentlich weiß, dass ich mich davon nicht aus der Ruhe bringen lassen sollte.

Während mir weiter der Schweiß übers Gesicht läuft, frage ich mich schon, ob der Hype um Peloton vielleicht vorbei ist und die Leute demnächst nicht doch wieder gerne ins Fitnessstudio gehen. Zwar gehöre ich sicherlich zu den Menschen, die getrost auf ihr Fitnessstudio verzichten können – als berufstätige Mutter von vier Kindern erscheine ich immer erst zum Unterricht, wenn die anderen bereits zum ersten Mal schweißgebadet sind. Da ist so ein Hometrainer schon praktischer, da kann ich trainieren, während der Älteste noch Hausaufgaben macht und der Jüngste in der Badewanne sitzt.

Man sollte nicht automatisch von sich auf andere schließen, aber in diesem Fall bin ich kein Einzelfall: Einer jüngst veröffentlichten US-Studie zufolge machen 82 Prozent der Millennials, also der zwischen 1980 und 2000 Geborenen, lieber zu Hause Sport als im Fitnessstudio, 81 Prozent wollen dies auch noch nach der Pandemie beibehalten. Immer öfter stehen die Hometrainer in Hotels, Resorts oder Fitnessstudios, was die Nachfrage weiter ankurbeln sollte. Peloton ist jedoch erst in den USA, Kanada, Großbritannien und Deutschland vertreten, es gibt also noch reichlich Expansionsmöglichkeiten. Nicht zuletzt könnte Peloton ein begehrtes Übernahmeziel für Firmen wie Apple sein, das bereits mit seiner Apple Watch den milliardenschweren Fitnessmarkt erobern will.

Mein Probetraining ist vorbei. Verschwitzt mache ich mich wieder auf den Weg nach Hause. Ob ich mir ein Peloton zulegen werde oder nicht, ist noch ungewiss. Es könnte daran scheitern, dass sich in unserer ohnehin schon recht zugestellten Wohnung kein Platz mehr finden lässt. Aber das kann ich problemlos ausprobieren: In wenigen Wochen kommt ein freundlicher Peloton-Mitarbeiter zu mir nach Hause, baut das Rad auf, richtet die Technik ein. Ich kann 30 Tage trainieren, findet sich kein geeigneter Platz in unserer Wohnung, wird das Rad wieder abtransportiert und ich bekomme mein Geld zurück. Wenn das kein Service ist!

Ob das Peloton bei uns dauerhaft einzieht, ist noch unklar. Sicher ist aber, dass ich mir weitere Peloton-Aktien ins Depot legen werde, da gibt es auch kein Platzproblem. Übrigens, was für Peloton gilt, gilt auch für andere zu Unrecht verstoßene Aktien: Man muss sie kaufen, wenn sie keiner haben will. Nicht, wenn sie in Mode sind.