Nur wenige Tage nach Abschluss des Q2 2022 veröffentlichte Upstart am 7. Juli vorläufige Ergebnisse zum abgelaufenen Berichtszeitraum. Die Zahlen enthielten eine heftige Umsatz- und Gewinnwarnung, wurden von den Investoren äußerst negativ aufgenommen und schickten die abgestürzte Upstart Aktie nochmals 20% gen Süden in Richtung des IPO Ausgabepreises von 20$.
Upstart ist auch für mich eine Aktie der Extreme: Ich weiß nicht, ob ich in meinen 35 Börsenjahren schon mal eine Aktie im Portfolio hatte, die nach dem IPO in nur 11 Monaten um den Faktor 19 zulegte, nur um dann innerhalb von 9 Monaten um über 93% abzustürzen.
,https://aktien.guide/aktien/Upstart-Holdings-US91680M1071
Aber Upstart ist mehr als eine geplatzte Hype-Aktie: Der vorläufige Quartalsbericht enthält durchaus auch positive Neuigkeiten, die mich nun wieder optimistischer in die längerfristige Zukunft schauen lassen als zum Zeitpunkt meines Beitrags unmittelbar nach dem ,Upstart Crash vom 10. Mai 2022.
Doch eins nach dem anderen:
Die schlechten Nachrichten
Upstart betreibt mit seiner Kreditplattform ein äußerst zyklisches Geschäft, das in den vergangenen Monaten unter den schnell steigenden Zinsen, der Inflation und den Rezessionsängsten extrem gelitten hat.
Im Q2 verzeichnete Upstart einen Umsatz von nur ca. $228 Mio. Das entspricht einer deutlichen Verfehlung von 24% gegenüber der nur zwei Monate zuvor am 9. Mai veröffentlichten Umsatzerwartung von $300 Mio. Das ist einerseits eine riesengroße Enttäuschung, andererseits bedeutet das aber immer noch ein Wachstum von ca. 18% gegenüber dem Vorjahresquartal.
Das ist aller Ehren wert, wenn man bedenkt wie deutlich sich das Makroumfeld für das Unternehmen und die Branche in den vergangenen 12 Monaten verschlechtert hat. Viel frustrierender als diese Umsatzentwicklung empfinde ich die zumindest im Q2 ungenügende Visibilität der eigenen Umsätze.
Upstart muss für das Q2 einen Nettoverlust von ca. $30 Mio. ausweisen, erwartet wurde noch zwei Monate zuvor ein knapp ausgeglichenes Ergebnis. Im Vorjahresquartal hatte man bei geringerem Umsatz noch einen Nettogewinn von $37 Mio. realisiert.
Diese negative Ergebnisentwicklung war aufgrund der schnell gewachsenen Kostenbasis angesichts des um über $70 Mio. niedriger als erwarteten Quartalsumsatzes kurzfristig unumgänglich. Wichtig in der gegenwärtigen Lage ist aber, dass sich das Management dazu committed hat, in den kommenden Quartalen auch bei einer deutlich niedriger als bisher erwarteten Umsatzbasis positive Cashflows erwirtschaften zu können.
“During the second quarter, we improved our unit economics and oriented ourselves toward continued positive cash flow even at lower loan origination volumes.”
Dave Girouard, Co-Founder und CEO von Upstart.
Mich hat überrascht wie negativ Investoren und Bank-Analysten auf diese Zahlen reagierten. Denn das Upstart Management hat im Q2 genau so agiert, wie der Finanzmarkt es nach dem Q1 vehement forderte: Man hat Kredite, die man im Q1 vorübergehend ins eigene Buch genommen hatte, mit Verlust verkauft und zudem im Q2 darauf verzichtet, neue Kredite ins eigene Buch zu nehmen.
Das hatte zur Folge, dass das durchaus vorhandene Umsatzpotential auf der Nachfrageseite mangels Kreditgebern nicht vollständig realisiert werden konnte. Denn der anhaltend hohen Nachfrage nach Krediten stehen in der gegenwärtigen Situation nicht genügend Banken bzw. Investoren auf der Angebotsseite der Plattform gegenüber.
Der Verzicht auf den Erwerb von Krediten ins eigene Buch ist kurzfristig schlecht für die Umsatz- und Ergebnisentwicklung bei Upstart. Aber dieser bewusste Umsatzverzicht ist notwendig, um das Geschäftsmodell eines reinrassigen Plattformgeschäftes (ohne nennenswerte eigene Kreditrisiken) nicht zu untergraben. Für mich ist das eine sehr positive Entwicklung.
Partnerbanken versus ABS Investoren
Wenn man das Upstart Geschäft näher betrachtet, dann muss man unbedingt differenzieren zwischen den Krediten, die von den mittlerweile 60 Partnerbanken in den eigenen Bilanzen gehalten werden und dem zusätzlichem Kreditvolumen, dass von Upstart nach der Zeichnung sofort via Asset-Backed Securities (ABS) an institutionelle Anleger weiterverkauft wird.
Die Nachfrage nach ungesicherten Krediten seitens dieser Investoren ist zuletzt wohl deutlich zurückgegangen. Ursache ist einerseits die miserable Makro-Lage. Aber es gibt auch hausgemachten Gegenwind: Denn die in 2021 begebenen ABS Kredite verzeichneten erstmals etwas höhere Ausfallraten als von den Upstart Modellen prognostiziert und konnten damit die hohen Renditeerwartungen der Investoren nicht ganz erfüllen.
Demgegenüber dürften die Bank Partner weiterhin für wachsendes Geschäft bei Upstart sorgen. Denn die von ihnen gemäß ihren eigenen Parametern gezeichneten Kredite haben bis zuletzt d.h. auch im Q2 die Erwartungen übertroffen.
„For loans facilitated through our platform and held by our more than 60 bank and credit union partners, average returns have consistently met or exceeded expectations since the program’s inception in 2018.“
Leider wird von Upstart nicht vollständig transparent gemacht, wie diese unterschiedlichen Umsatzquellen sich im Zeitablauf entwickeln und welchen Anteil die Partnerbanken mittlerweile am gesamten Kreditvolumen halten. Man muss aber davon ausgehen, dass immer noch ein großer Teil der Kredite an Investoren weitergereicht wird.
Entscheidend für die langfristige Entwicklung von Upstart wird sein, dass es im Laufe der Zeit gelingt, den Anteil der Partnerbanken am Finanzierungsvolumen deutlich zu steigern und damit weniger abhängig zu sein von der labilen Nachfrage seitens renditehungriger ABS Investoren.
Ein großes Problem ist die nach wie vor bestehende Abhängigkeit von einigen wenigen großen Partnerbanken. Zwar hat man die Anzahl der Partner seit dem IPO innerhalb von weniger als zwei Jahren von 10 auf 60 vervielfachen können, aber immer noch stehen nur zwei Banken (u.a. die Cross River Bank) für 77% (46%+31%) der Umsätze. Der Grund dafür ist, dass diese strategischen Partner auch bei der Verbriefung und Weiterreichung der Kredite an Investoren helfen.
Die Frage aller Fragen
Wird Upstart es schaffen, eine kritische Masse von Partnerbanken für die eigene Plattform zu gewinnen? Letztendlich läuft alles auf die Frage hinaus, ob die AI-basierten Algorithmen zur Kreditvergabe von Upstart auch in einem Umfeld steigender Zinsen bzw. Rezession besser sind als die seit Jahrzehnten von den Banken verwendeten FICO-Scores.
Viele Upstart Kritiker bezweifeln das.
Ich selbst bin allerdings davon überzeugt, dass es in der Zukunft den innovativsten Playern im Kreditgeschäft gelingen wird, durch Mustererkennung mittels Machine Learning Algorithmen die Kreditvergabe besser zu steuern als mit den herkömmlichen starren Verfahren.
Ob Upstart das heute schon über einen gesamten Wirtschaftszyklus hinweg kann, das ist eine ganz andere Frage. Das Unternehmen weist in seinen Berichten regelmäßig daraufhin, dass seine Algorithmen bisher noch nicht dem Härtetest einer Rezession ausgesetzt waren:
“Our AI models have not yet been extensively tested during down-cycle economic conditions. If our AI models do not accurately reflect a borrower’s credit risk in such economic conditions, the performance of Upstart-powered loans may be worse than anticipated.”
Wer sich näher für die Technologien und Parameter interessiert, die Upstart für seine AI Algorithmen nutzt, dem empfehle ich die Lektüre des “,Business” Kapitels im IPO Prospekt. Wenig überraschend findet sich allerdings auch dort keine detaillierte Erläuterung der über 1.600 berücksichtigten Parameter.
Ein Investment in die Upstart Aktie birgt ein hohes Risiko. Aber das Unternehmen ist mit $800 Mio. Cash (unrestricted) gut kapitalisiert und hat aus meiner Sicht eine sehr realistische Chance, dieses Problem des fairen Kredit Scorings in den kommenden Jahren als Erster nachhaltig zu lösen und damit enormen Wert zu schaffen für die Endkunden, für die Partnerbanken und damit letztendlich für die eigenen Aktionäre.
Hop oder Top?
Upstart wird nach dem Absturz bei einem Kurs von 27$ nur noch mit einem Enterprise Value von ca. $2 Mrd. gehandelt.
Sollten sich die Bedenken der zahlreichen Shortseller bewahrheiten, so werden die Upstart AI Modelle in der Rezession längerfristig versagen und damit mehr oder weniger wertlos sein. Dann ist ein weiterer Absturz der Upstart Aktie und eine Übernahme zum Schnäppchenpreis möglich.
Diesem hohen Risiko steht die Chance auf eine Vervielfachung der Upstart Aktie gegenüber für den Fall, dass Upstart das Netzwerk seiner Partnerbanken weiter ausbauen, die Rezession überstehen und z.B. aufgrund von Erfolgen in der Auto-Finanzierung gestärkt aus der Krise herauskommen kann.
Ich halte dieses positive Szenario für durchaus wahrscheinlich. Denn das althergebrachte Kredit-Scoring ist “ready for disruption” und für mich stellt sich “nur” die Frage, wer dieses Problem mit den modernen Methoden der Mustererkennung als Erster löst und wie groß der Burggraben ist, den sich dieser Innovator am Markt erarbeiten kann, bevor andere nachziehen.
Ich höre immer wieder, die hohe Short-Quote sei ein “Red Flag”. Und tatsächlich gehört Upstart seit geraumer Zeit zu den am meisten leer verkauften Aktien überhaupt. Ich ignoriere eine hohe Short-Quote generell, solange ich keine nachvollziehbaren Argumente der Shortseller finde. Alles was ich von denen bisher im Falle Upstart gelesen und gehört haben, hat mich nicht überzeugt. Der bloße Hinweis auf Insiderverkäufe, die ich hier als Business as Usual ansehe, oder das Smart Money, das angeblich mehr weiß als ein gut informierter Privatanleger, genügt mir nicht für einen Exit angesichts der enormen Chancen bei einer erfolgreichen Execution des Upstart Business Plans.
Warum ich Upstart weiterhin halte
Das Jahr 2022 wird für Upstart wohl miserabel mit einer fetten Wachstumsdelle enden. Aber das hat nachvollziehbare (vor allem externe) Gründe. Ich sehe weiterhin eine ordentliche Chance für einen nachhaltigen Unternehmenserfolg in den kommenden Jahren.
Es erscheint mir jedoch noch immer zu früh, jetzt die Upstart Aktie beherzt nachzukaufen. Denn spätestens am 8. August (bei der Präsentation der Q2 Ergebnisse) wird das Unternehmen seine Planzahlen für das Gesamtjahr 2022 nochmals deutlich zurücknehmen müssen. Ich rechne nun nicht mehr mit einem nennenswerten Umsatzwachstum und unterm Strich könnten für das Krisenjahr 2022 durchaus deutlich rote Zahlen stehen.
Das ist für mich als langfristig orientierten Investor kein Drama. Aber die wohl unausweichliche Veröffentlichung der Planverfehlung für 2022 könnte einen nochmaligen Ausverkauf bedeuten, wenn das Upstart Management nicht gleichzeitig durch eine gute Bilanz (ohne nennenswerte Kredite in den eigenen Büchern) und/oder mit schnellen Erfolgen im neuen Auto-Finanzierungsgeschäft überzeugen kann.
Upstart ist eine der wenigen Hochrisiko-Positionen in meinem High-Tech Stock Picking wikifolio. Nach dem Kursverfall ist die Upstart Aktie noch mit 4% im Musterportfolio gewichtet. Die Upstart Aktie kann sich im o.g. Negativ-Szenario durchaus nochmals halbieren, das wäre dann ein Risiko von 2% bezogen auf das Gesamtportfolio. Bei Eintritt des von mir erwarteten positiven Szenarios halte ich durchaus auch eine Vervielfachung des Kurses innerhalb weniger Quartalen für möglich – mit entsprechend deutlich positiven Auswirkungen auf das Gesamtportfolio.
Ich baue bewusst einige wenige derart spekulative Turnaround-Spekulationen in mein Portfolio mit ein. Solche antizyklischen Wetten haben mir nach vergangenen Bärenmärkten in der Erholung schon mehrfach eine schöne Outperformance ermöglicht. Ob ich im Falle Upstart mit meinem anhaltenden Optimismus richtig liege, das weiß ich natürlich auch noch nicht. Warten wir es ab.
Fazit
Mir erscheint das in der Upstart Aktie liegende Chance/Risikoverhältnis auf dem aktuellen Niveau durchaus attraktiv. Das Management hat klargestellt, dass die Kredite in den eigenen Büchern nichts zu suchen haben (außer für F+E Erfordernisse) und die Bilanz wurde offenbar bereits per Ende Juni bereinigt.
Damit ist Upstart für mich definitiv kein Pleitekandidat, der Super GAU für uns Aktionäre wäre wohl eher eine Übernahme zum Schnäppchenpreis. Das Unternehmen hat durch seine starke Bilanz weiterhin die Chance, in den kommenden Jahren einen führenden Kredit-Marktplatz aufzubauen und damit eine große Branche mit Methoden der AI nachhaltig zu disrupten.
Klar ist aber auch, dass Upstart aktuell davon noch meilenweit entfernt ist. Derzeit betreibt man ein sehr zyklisches Geschäft als Kreditvermittler mit großen Abhängigkeiten von wenigen Partnern und muss die Tragfähigkeit seines Geschäftsmodells durch eine Rezession hindurch erst noch beweisen. Die Umsatzvisibilität von Upstart ist gering und eine relativ niedrige Bewertung des Umsatzstroms ist daher durchaus gerechtfertigt.
Als Aktionär ist man hier an einem noch unreifen Unternehmen mit sehr großem Potential beteiligt. Die Upstart Aktie passt damit sicherlich nicht in jedes Portfolio. Ich werde derzeit weiterhin halten und nach der Vorlegung von aktueller Bilanz und neuer Guidance im August über einen möglichen Nachkauf entscheiden.
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