Mo. Nov 25th, 2024

Astrid Schuch hat mich heute für den Blog von wikifolio zur aktuellen Korrektur interviewt. Hier kommt der Text mit einer aktuellen Einschätzung von mir und mit den Angaben zu meinen Nachkäufen. Mein Text „Die Börsenampel steht auf orange“ war im November nicht nur hier, sondern auch auf dem Blog von wikifolio erschienen.

 

Christian, im November hast du eine Korrektur für Mai 2022 vorhergesagt. Nachsatz: „Vermutlich passiert es aber schon früher.“ Die Korrektur ist jetzt da. Die großen Indizes haben gut 10 Prozent verloren, manche mehr. Wie sehr hat dich das erste Börsenmonat 2022 nun unterm Strich wirklich überrascht?

Christian Thiel: Die Korrektur für das erste Halbjahr 2022 kommen zu sehen, das war wirklich sehr einfach. Zum einen sind die Kurse in 2021 schlicht viel zu stark gestiegen, zum anderen ist das erste Halbjahr im Jahr der amerikanischen Midterm Elections bekannt für Turbulenzen an der Börse.

Und dann war ja auch noch der Termin März 2022, der auf uns zu kam. Zu dem Zeitpunkt hätte die Börse zwei volle Jahre lang keine Korrektur erlebt gehabt. So etwas ist statistisch nun mal extrem unwahrscheinlich. Der bekannte amerikanische Investor Ken Fisher hat auch darauf hingewiesen, dass wir in den ersten sechs Monaten 2022 mit einer erhöhten Volatilität rechnen sollten. So ist es dann auch gekommen.

Mehr zum Thema: Die Börsenampel steht auf orange

Und trotzdem hat mich der Zeitpunkt überrascht. Erst gab es noch das Hoch im Dezember – dann sausten die Kurse nach unten. Schauen wir mal, wie weit es nach unten geht. Ich habe bei minus 12 Prozent im S&P 500 am vergangenen Montag bereits für das Depot von grossmutters-sparstrumpf nachgekauft. Fallen die Kurse noch weiter auf minus 15 Prozent, dann kaufe ich wieder. Und bei minus 20 Prozent noch einmal. Wenn es denn so weit kommt.

 

Der starke Anstieg der Kurse im letzten Jahr (rote Linie) konnte so unmöglich weiter gehen. Die Korrektur war schlicht fällig.

 

Wachstumswerte und der Bitcoin haben, wie von dir vermutet, besonders stark verloren. Der Nasdaq als Wachstumsindex schlechthin ist bislang mit minus 15 Prozent am stärksten gefallen. Nach deiner Aussage wäre hier jedenfalls auch schon mal der Zeitpunkt erreicht, um nachzukaufen, oder?

Ich versuche nie, das Tief zu treffen. Das ist schon deshalb sinnlos, weil niemand im Voraus wissen kann, wie tief es geht. Das entscheiden ohnehin die großen Spieler an der Wall Street – und nicht ich oder andere Privatanleger. Am besten ist es für Langfristanlegerinnen und –anleger immer, bei festen Marken zu kaufen. Dass besonders die unsicheren Anlagen leiden würde, das war anzunehmen.

Die hochspekulativen Investments wie zum Beispiel die Wasserstoffaktien sind extrem nach unten gekommen. Der Bitcoin hat sehr stark abgegeben und überhaupt und gar nicht gegen die Inflation geschützt, wie seine Befürworter immer wieder betonen. Er wurde vielmehr genau wie die High-Tech-Aktien behandelt – als High-Risk-Investment. Das war spannend zu sehen.

Vereinzelt hat es im Tech-Bereich aber auch große Werte getroffen. Amazon hat verhältnismäßig stark verloren, Netflix hat es nach einem enttäuschenden Ausblick regelrecht zerlegt, indes hält sich die Tesla-Aktie noch relativ wacker. Ein Teil deiner November-Prognose ist damit noch nicht eingetroffen. Tesla stand ja ganz oben auf deiner Abverkaufsliste. Was kann Tesla aktuell, das etwa Amazon nicht kann?

Tesla hält sich in der Tat erstaunlich gut und so wie du sagst besser als von mir erwartet. Die Aktie hat mich schon oft überrascht. Ich vermute, bei Tesla braucht es erst einen starken Abfall der Zahlen beim Umsatzwachstum von derzeit um die 70 Prozent auf 50 Prozent oder gar 40 Prozent, dann könnten wir die von mir vermutete Halbierung im Kurs des Unternehmens erleben.

Netflix hat solche Abverkäufe wie zuletzt immer wieder gehabt, wenn die Abonnenten-Zahlen schwach ausgefallen sind. Das ist nichts Neues. Amazon steht bei mir ganz oben auf der Liste der Unternehmen, die in 2022 vom Markt als sicherer Hafen wiederentdeckt werden könnten.

In meinen Augen waren insbesondere Apple und Microsoft vor dieser Korrektur zu hoch bewertet. Jetzt sehen sie schon wieder deutlich besser aus – zumal die Gewinne bei beiden ja auch steigen und das KGV weiter drücken. Das wird neue Käufer anziehen – wie immer wenn Aktien korrigieren.

Die US-Berichtssaison läuft – sie könnte den Abverkauf der Börsen verschlimmern oder stoppen. Wie schätzt du ihren Einfluss auf die Kurse ein?

Das kann ich ganz klar beantworten: Niemand kann es sagen. Der Markt macht schlicht, was er will und er kümmert sich dabei nicht unbedingt darum, wie gut oder schlecht Zahlen sind. Netflix hat bei den Gewinnen die Erwartungen des Marktes sehr deutlich geschlagen – und wurde abverkauft.

Eine Korrektur kommen zu sehen, war im Herbst 2021 nicht wirklich schwer – aber ihren genauen Verlauf zu kennen? Nein, das ist unmöglich. Dazu gibt es auch viel zu viele Dinge, die wir derzeit noch nicht wissen. Was macht die Fed wirklich? Wann lässt die Inflation nach? Wie hoch steigen die Zinsen für 10-jährige amerikanische Staatsanleihen?

Der letzte Punkt ist besonders wichtig. Aktien stehen nicht in Konkurrenz zu den kurzlaufenden Zinsen, die von den Zinsentscheidungen der Fed betroffen sind. Aktien sind vielmehr so lange attraktiv, wie die Gewinne der Unternehmen drei Prozent höher liegen als der Zins, den Zehnjährige einbringen. Das ist das equity risk premium.

Die US-Notenbank Fed entscheidet heute über die weiteren Schritte in der Geldpolitik. Große Änderungen werden vorerst nicht erwartet. Der Markt ist laut Medien im Vorfeld trotzdem nervös. Kann die Fed hier heute mit ihren Aussagen noch eine Abverkaufswelle auslösen?

Das kann sie immer. Aber das wird sie vermutlich vermeiden wollen. Eher ist zu erwarten, dass sie versuchen, den Markt zu beruhigen. Ich gehe trotzdem davon aus, dass wir bis in den Sommer hinein einen seitwärts laufenden Markt sehen werden. Gut möglich auch, dass wir wie in 2018 eine Doppelkorrektur erleben.

Für Langfristanleger ist aber wichtig zu begreifen, dass Aktien noch für sehr lange Zeit alternativlos sind. Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Jahren mehr schwache Börsenjahre erleben werden, als in den vergangenen 13 Jahren. Seit dem Tief aus dem Frühjahr 2009 steigen die Kurse im S&P 500 mit einem Tempo von um die 15 Prozent pro Jahr. Das ist für einen optimistischen Markt von einem Tief aus gerechnet völlig normal.

Aber es kann so nicht weiter gehen. Wir werden wieder deutlich niedrigere Returns sehen. Im Grunde brauchen wir eine Phase von um die 10 Jahren, in denen es im Schnitt nur fünf Prozent hochgeht. Die Rechnung ist ja ganz einfach: 10 Jahre mit 15 Prozent Return und 10 Jahre mit fünf Prozent Return ergeben zusammen 20 Jahre mit 10 Prozent Return – und das ist nun mal der historische Durchschnitt des S&P 500, wenn man die Dividenden mit einrechnet.

Wohin geht die Reise für dein wikifolio Global Champions in den nächsten Tagen? Du bist aktuell fast vollständig investiert, stehen Umschichtungen an?

Ich bin derzeit sehr zufrieden mit der Zusammensetzung des wikifolios. Ich plane immer mal wieder Änderungen, aber derzeit warte ich einfach ab. Sorgen macht mir vor allem Peloton. Ich habe die Aktie zuletzt noch einmal nachgekauft, aber derzeit würde ich das nicht mehr machen.

Das Problem ist für mich nicht das Geschäftsmodell. Peloton ist eine sehr starke Marke mit einer loyalen Kundenbindung. Das Problem ist das Management. Mein Vertrauen in das Management schwindet derzeit stark. Geht der CEO, dann wäre ich erleichtert. Bleibt er aber im Amt und macht weiter so viele Fehler, dann ist es nicht ausgeschlossen, dass ich die Position verkaufen werde.

Was hätte man als Anleger nun privat für Möglichkeiten? Angenommen man wäre liquide – sollte man schon mal zuschlagen? Und wenn ja, wo zum Beispiel?

Das Angenehme für mich ist, dass ich in diesem Jahr liquide bin. Ich werde von meiner Lebensversicherung verrentet. Ich kaufe da nach, wo ich ohnehin schon investiert bin.

Lockt dich der Bitcoin-Kurssturz jetzt eigentlich kein bisschen zum Einstieg?

Überhaupt und gar nicht. Niemand kann sagen, ob es den Bitcoin in ein paar Jahren noch gibt. China und Russland sind ohnehin schon gegen die Kryptowährung. Sollten die USA zu dem Schluss kommen, dass er nicht in ihrem Interesse ist, dann fällt der Kurs ins Bodenlose. Ein Unternehmen wie Peloton schafft täglich einen Wert für seine Kunden und generiert Cash. Das macht es wertvoll – und wenn das Management etwas taugt …

… was ja leider nicht so ganz klar ist …

… leider nein. So ist es. Aber wenn es etwas taugt, dann wird das Unternehmen mit der Zeit wertvoller und wertvoller. Netflix ist dafür das beste Beispiel. Der Return mit der Aktie liegt über die letzten 10 Jahre bei rund 40 Prozent pro Jahr. Und Netflix hat in der Zeit viele Abstürze erlebt – oft wegen der Abonnentenzahlen. Trotzdem hat das Unternehmen einen unglaublichen Cash-Flow generieren können. Das gleiche bei Apple. Das gleiche aber auch bei John Deere oder Mastercard. Nein, ich bleibe bei Aktien – und kaufe keine Bitcoins.

Christian, es war mir eine Freude. Danke für das Gespräch.

 

Nachbemerkung: Mein erster Kauf ist am Montag erfolgt und betraf zum überwiegenden Teil einen ETF auf den S&P 500. Mit einer kleineren Summer habe ich Aktien von PINTEREST nachgekauft. 

 

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Der Beitrag „Ich bleibe bei Aktien – und kaufe keine Bitcoins“ erschien zuerst auf Grossmutters Sparstrumpf.